Nachhaltigkeit

Wer packt mein Paket?

Wer packt mein Paket?

Ein Artikel von Lisa mit Kommentaren von Jürgen Chmiel

Wer einmal ein Paket von uns bekommen hat, dem ist vielleicht schon unser kleiner runder Aufkleber aufgefallen, auf dem es heißt „Gepackt von Menschen mit Behinderung“. Bevor es diesen kleinen Aufkleber und das Team dahinter gab, war das Roadtyping-Lager noch unser Wohnzimmer und der Esstisch als Packstation dauerbelegt. Diese Zeit war auch schön, ist aber zum Glück vorbei, denn seit 2019 unterstützen uns die Wertachtalwerkstätten für Menschen mit Behinderung mit Standort in Kaufbeuren. Dazu Jürgen Chmiel, der Einrichtungsleiter Nord

 

Als wir damals mit den Werkstätten in Kontakt traten, gab es noch wenige Produkte und eine überschaubare Anzahl an Bestellungen. Wir brauchten zunächst ein organisiertes Lager, dann mussten Abläufe besprochen werden. Welche Vorgänge passieren danach, wenn ein Kunde bei uns etwas bestellt? Wie geht es dann konkret weiter?

„Der Versandbereich gehört zu den Gruppen von Mitarbeiter*innen mit erworbenen Hirnschädigungen – und hier geht es wieder um den individuellen Bedarf des Mitarbeiters. Denn diese Personen haben z.B. durch einen Schlaganfall, einen Unfall oder eine Krankheit eine Hirnschädigung erlitten. Sie kämpfen zum Beispiel mit Lähmungen, Konzentrationsschwächen Sehstörungen oder Reizüberflutung. Für unser Team steht daher an erster Stelle die Förderung und die individuellen Stärken der Menschen, die in unseren Gruppen arbeiten. Und das macht es spannend: Welche Aufträge können wir annehmen? Wo sind unsere Grenzen? Wie können wir unsere Mitarbeiter*innen unterstützen, um Tätigkeiten auszuüben? Hierbei geht es ja auch um die Motivation und den Stolz, Arbeiten - trotz Einschränkungen - gut durchführen zu können. Da ist Roadtyping natürlich ein sehr passender Kunde. Hier gibt es sehr vielfältige Arbeitsschritte, die Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen durchführen können.“

 

Schnell wurde klar, dass ein reibungsloser Versand gar nicht so einfach ist, sondern ein breites Spektrum an Fähigkeiten erfordert. Besonders große Bestellungen für Geschäfte müssen richtig abgelesen und mit hoher Konzentration korrekt zusammen gesucht werden. Und wie klebt man denn ein Paket zu, wenn man nur einen Arm benutzen kann? Hinzu kommt das Bearbeiten der Bestellungen am PC, spezielle Zollvorgaben und nicht zuletzt die buchhalterische Abrechnung. Ihr seht, es gehört viel dazu und die Beschäftigten machen es klasse! Auch für uns war ein Umdenken nötig, uns in die Arbeitsart der Beschäftigten hineinzuversetzen.  So achten wir bei der Benennung der Produkte auf Eindeutigkeit, halten strikte wiederkehrende Abläufe ein, binden das Team bei der Auswahl der Versandverpackung ein und sind bei auftretenden Problemen ständig erreichbar. Aber auch hier gilt - Fehler sind menschlich.

„Unser Menschenbild macht uns aus und ist unser wertvollstes Leitmotiv. Gemeinsam mit der Lebenshilfe Ostallgäu begleiten wir Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen durch alle Lebensphasen. Vom Kleinkind hin zum Senior bieten wir vielfältige Dienste und Einrichtungen an, die bei Bedarf unterstützen. Wo ein solcher entsteht und wir diesen sehen, versuchen wir, uns einzubringen.“

Neben dem Versand kümmern sich andere Bereiche der Wertachtalwerkstätten auch auch um weitere vielseitige Aufgaben. Die gesamte Konfektionierung unserer Artikel, also die vorgelagerten Schritte bis zur fertiges Handelsverpackung,  führen verschiedene Gruppen in Handarbeit durch. Diese suchen beispielsweise die 24 Gondel-Bögen unseres Adventskalenders einzeln zusammen, bekleben die Verkaufsverpackungen und binden die Kordeln an die Emaillebecher. Auch die gesamte Qualitätskontolle wird übernommen - das heisst, jedes Produkt geht durch zwei Hände und wird sorgfältig auf Fehlerüberprüft. Artikel mit kleinen Beschädigungen kann man dann bei uns im Shop als 2. Wahl Artikel erwerben. Wird eine Aufgabe langweilig oder zu anstrengend, wird pausiert oder mit etwas anderem weitergemacht.

„Die Geschichten hinter unseren Mitarbeiter*innen sind sehr unterschiedlich. Viele haben von Geburt an z.B. eine geistige Einschränkung. Wenn die Person bei uns ist, erhält sie die Möglichkeit über diverse interne Praktika und vorgeschaltete Qualifizierungsmaßnahmen ihre Wünsche und Neigungen zu erkunden und sich dann sich für einen Bereich zu entscheiden. Im Lauf seines Berufslebens kann er/sie diesen Bereich auch jederzeit wieder wechseln.

Jeden noch so kleinen Auftrag prüfen wir auf Machbarkeit. Schließlich möchten wir unseren Mitarbeiter*innen auch abwechslungsreiche Tätigkeiten bieten. Mittlerweile haben wir eine eigene Metallabteilung, Schreinereien an allen Standorten, zwei Wäschereien, eine Grünanlagenpflege, mehrere Elektro-/Elektronikfertigungen und unterschiedliche Montagebereiche.“

Neben Roadtyping nehmen die Werkstätten auch Aufträge von über 500  anderen Partnern an. Bleiben dort Kartons übrig, landen sie alle gesammelt bei uns und werden für den Versand wiederverwendet. Vielleicht habt ihr eure Bestellung schon einmal in einem Karton eines großes Schraubenherstellers erhalten? Auch andere wirklich tolle Projekte lohnt es sich definitiv anzuschauen: Ein Bereich in Kaufbeuren, eine Schreinerei, bereitet für viele Brauereien aus dem Süddeutschen Raum Bierzeltgarnituren auf, sodass sie noch die ein oder andere Festzeltsaison weiterverwendet werden können. Über die Jahre hinweg haben sie sich hier durch die hohe Qualität einen beachtlichen Namen gemacht – ein schönes Projekt! In der eigenen Biomanufaktur (allgäuer-senfmanufaktur.de) kann man viele leckere regionale Bioprodukte erwerben, von selbstgebackenen Keksen über Müslimischungen hin zu selbstgemachte Senf. Wer einmal in Füssen unterwegs ist, sollte sich unbedingt im Café Werkgeplauder ein leckeres Frühstück gönnen! Für alle Kaufbeurer haben wir noch einen Geheimtipp - Auf Bestellung kann man sich einen wahnsinnig tollen Apfelkuchen backen lassen. Wir haben ihn selbst probiert! Und wenn ihr übrig gebliebene Bücher aussortiert oder nicht mehr benötigt- gebt Ihnen doch eine zweite Chance und gebt sie im „MeH Bereich“ ab. Dort werden sie weiterverkauft oder recycelt. Für mehr Info’s schaut doch mal auf der Webseite der Werkstätten nach!

Wir wünschen uns noch viele erfolgreiche Jahre der Zusammenarbeit! Zum Schluss noch ein paar Worte von Jürgen Chmiel:

„Wir möchten eine noch stärkere Ausrichtung der Angebote an den Bedarf von Menschen mit Behinderung erreichen. Über Öffentlichkeitsarbeit und gute Arbeit im Bereich Inklusion hoffen wir, dass sich die Gesellschaft und Arbeitswelt für das Thema Inklusion mehr öffnet und Übergänge zwischen Werkstatt und Arbeitswelt zunehmend ermöglicht werden.

Und noch eine Einladung an alle: Einfach mal vorbeikommen und selbst erleben – Vorurteile basieren aus unserer Erfahrung häufig auf „gefährlichem Halbwissen“ oder bisher nicht stattgefundenem persönlichen Kontakt :)“

 

 

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